Ausstellungstipp –
A Stranger A Day

Was passiert, wenn man ein Jahr lang jeden Tag einen Fremden fotografiert? Mit seinem Projekt „A Stranger A Day“ hat der Fotograf Stephan Strache von Lost in a Moment genau das gemacht. 365 Tage. 337 ziemlich spannende Gesichter. Und genau diese Gesichter gibt es entweder digital auf seinem Instagram-Kanal oder bis zum 11.09. in der Ranzeria in Mülheim zu sehen. In chronologischer Reihenfolge hat Stephan seine Portraitaufnahmen zu einer Collage aus interessanten Geschichten zusammengefügt. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten, was das so mit einem macht, in einer digital getriebenen Welt tatsächlich mal wieder bewusst analog unterwegs zu sein. Und wie das funktioniert, wenn man Abstand von geschönten Instagramwelten nimmt und diesen einen Augenblick nutzt, um den Menschen in seiner Echtheit zu zeigen.

Stephan, was war für dich das Spannendste an „A Stranger A Day“?
In der Fotografie habe ich viel mit Menschen zu tun, die wissen, dass jetzt gleich ein Foto von ihnen entstehen wird und die dann ein bestimmtes Bild von sich vermitteln möchten. Die machen sich zurecht, suchen einen bestimmten Ort aus. Das ist immer irgendeine Form von Darstellung. Und deshalb mag ich „A Stranger A Day“ so gern. Weil die Menschen nunmal vorher nicht wussten, dass sie fotografiert werden und dann vielleicht nicht ihre Lieblingsklamotten anhatten, vielleicht mal nicht die Haare gewaschen haben. Die größten Geschenke waren die Leute, die von sich selbst gesagt haben, sie haben nen Scheißtag. Und trotzdem haben sie sich darauf eingelassen.

Das ist einer der Aspekte, den ich super interessant finde an deinem Projekt. Weil es eben gerade um das Unperfekte geht. Kein Selfie-Wahn und keine 1000 Filter. Eben nicht diese propagierten Schönheitsideale, die uns ja alle extrem unter Druck setzen. Wie sind die Leute denn damit umgegangen, wenn du sie angesprochen hast und sie sich auf den Bildern gesehen haben?
Echt erstaunlich gut. Die meisten waren wirklich entspannt. Ich habe von vorne herein gesagt, es gibt einen Shot und auch keinerlei Beauty-Retusche. Das Schönste, was mir in dem Zusammenhang hängen geblieben ist, war dieses eine Mädel. Die hatte nämlich an dem Tag einen ziemlich großen Mitesser im Kinnbereich und hat daraufhin einfach den Schal hochgezogen und meinte, „Dann mach ich die analoge Beauty-Retusche.“ Das fand ich großartig! Ansonsten gab es nur eine Frau, die mich, nachdem ich ihr das Bild digital geschickt hatte, gebeten hat, es zu löschen, weil sie sich darauf nicht schön fand. Aber irgendwie ist sie trotzdem integriert, in der Ausstellung ist diese Kachel nämlich die geschwärzte.

Eigentlich heißt es in deinem Konzept ja „jeden Tag ein Foto“. Wieso gibt’s nur 337?
Es gab ein paar Regeln, die ich aufgestellt hatte. Eine davon war 30 Tage darf ich Urlaub haben und die habe ich auch fast alle genutzt.

Und die anderen Regeln?
Die Person musste mir auf jeden Fall fremd sein und ich durfte wirklich nur einmal auf den Auslöser drücken.

Gab es da Dinge, die besonders schwierig in der Umsetzung waren?
Ich hatte anfangs diese Idee, dass ich die Diversität der Gesellschaft darstellen will. Irgendwann musste ich aber akzeptieren, dass das einfach nicht möglich ist. Es gibt zum Beispiel kein Gleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Teilnehmern. Und gerade ältere Leute waren sehr viel skeptischer. Weil viele mit dem Internet nicht wirklich Berührungspunkte hatten und das nur sehr vage einordnen konnten. Teilweise ging’s aber auch ein bisschen um Eitelkeit. Ältere Damen haben mir oft gesagt, dass sie früher fotogener gewesen wären. Da gibt’s eben dann doch ne gewisse Scham. Ich persönlich mag gerade ältere Gesichter in schwarz-weiß extrem gerne. Diese Gesichter haben so viel zu erzählen. Jede Falte verrät eine andere Geschichte. Ich kann aber auch nachvollziehen, dass man selbst das vielleicht nicht so sieht.

Ja, das kann ich auch nachvollziehen. Ich glaube, dass das schon etwas ist, was man bei anderen total spannend und ästhetisch findet, aber bei sich selbst vielleicht nicht so gerne sieht. Gab es denn Leute, bei denen du schon vorm Ansprechen gut abschätzen konntest, ob sie mitmachen würden oder nicht?
Das waren vor allem Leute so um die 30, die eher extrovertiert wirkten. Ich habe mit der Zeit gelernt, dass diese Menschen das als großes Kompliment sehen, wenn ich sie anspreche. Da wurde es natürlich wieder zur Herausforderung, nicht den bequemsten Weg zu gehen, sondern seine Komfortzone zu verlassen und Leute anzusprechen, bei denen man riskiert, dass sie mit dem Thema nichts anfangen können.

Ziemlich interessant! ich hätte eher gedacht, dass es genau die jüngeren wären, die schon so sehr gewohnt sind, sich selbst zu inszenieren und die dann skeptisch sind, wenn sie die Führung jemand anderem überlassen.
Nee, das war immer ne relativ sichere Bank. Schwieriger wurde es wirklich bei älteren Menschen. Und auch Männer haben mehr mitgemacht. Bei Frauen hat definitiv oft die Frage mit reingespielt, ob das jetzt ne blöde Anmache ist. Deshalb waren sie, glaub ich, oft verhaltener. Aber grundsätzlich ging das. Im Durchschnitt hat jede vierte Person mitgemacht, die ich angesprochen habe – vorausgesetzt sie haben sich erstmal angehört, was ich zu sagen habe. Manchmal war das nicht der Fall. Da kam als erstes die Antwort: „Nee, ich gebe nichts.“ Auch interessant.

Ja, auf jeden Fall! Das ist übrigens auch ne Frage, die ich mir gestellt habe: Unsere Welt hat sich in den letzten Jahren ja sehr geändert. Zwar streuen Menschen immer mehr Bilder von sich im Internet und in sozialen Netzwerken, auf der anderen Seite laufen sie aber wie Smartphone-Zombies durch die Gegend. Wenig ansprechbar. Wenig bis gar keine Kommunikation mit Fremden. Wie hat sich das bemerkbar gemacht, wenn du auf die Leute zugegangen bist?
Bis auf die Leute, die gesagt haben, sie geben nix, hatte ich eigentlich nur positive Erlebnisse. Selbst die, bei denen ich anfangs dachte, die sehen ein bisschen aggressiv aus, könnte schwierig werden, hab ich immer freundliches Feedback bekommen. Ich glaube, das Geheimnis ist, einfach freundlich zu sein. Dann passiert da auch nix. Im Gegenteil, ich fand das super bereichernd.

Die Ranzeria in Köln-Mülheim

Was nimmst du aus dem „A Stranger A Day“-Jahr mit?
Da gibt’s mehrere Dinge: Ich fand es extrem schön, einfach die Leute auf der Straße anzusprechen. Das ist eine so viel direktere Form der Kommunikation als vorher eine digitale Konversation zu betreiben. Dadurch vermitteln die Bilder manchmal auch einen echteren Eindruck. In dem Zusammenhang fand ich es auch super spannend, mal mit Menschen zu tun zu haben, die ansonsten gar nicht viel mit Fotografie in Berührung sind. Ich fand es toll, wenn ein Gesicht nicht ganz symmetrisch ist und vielleicht nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Ich hab es auch genossen, dass ein Gesicht mal auch Lebensfreude ausstrahlen darf, weil meine Bildsprache ansonsten doch sehr melancholisch ist. Oft hätte ich aber gerne noch mehr gewusst, mehr erfahren, mehr erzählt, was hinter dem Menschen steckt. Daraus ist dann tatsächlich zusammen mit meiner Freundin Maike unser neues Projekt Silver entstanden. Und ich muss sagen, mir bedeutet es wirklich viel, die Bilder jetzt alle zusammen analog an einer Wand zu sehen. Egal ob sie digital eine viel größere Reichweite haben oder nicht.

Wir sagen: Auf jeden Fall sehenswert, diese so hübsche Fotowand! Geht da mal hin. Aber Obacht, die Ranzeria hat keine festen Öffnungszeiten. Am besten ihr informiert euch auf der Facebook-Seite, wann offen ist. Am 11.09. ab 19.00 Uhr gibt’s übrigens die Finissage. Da könnt ihr selbst mit Stephan schnacken, fabelhafte Musik hören und alles ganz in Ruhe auf euch wirken lassen. Vielleicht entdeckt ihr auf den Fotos ja sogar jemanden, den ihr kennt, 80 Prozent der Portraits wurden nämlich in Köln gemacht.

Und hier findet ihr die Ranzeria:
Wallstraße 155, 51063 Köln

 

Portraits im Header by Stephan Strache

Kerstin Buddendiek, Co-Founder Jubel Trubel Zweisamkeit

Text: Kerstin

Jubel Trubel Zweisamkeit-Gründerin und Verkupplungskünstlerin. Dazu Komplimente-Tourette und ein Lidstrich, der ewig hält – wenn das keine geile Mischung ist?! Neben ihrem Ruhepol-Dasein hat sie ‘nen ziemlichen Plan von Influencern und Social Media Shizzle. War früher ganz klares Unternehmensseite-Kind, hat dann aber doch das Freelancen für sich entdeckt. Größtes Anliegen: Bitte mal „Ich hab noch nie …” spielen. Wer macht mit?

Veröffentlicht am 23. August 2018
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