Ich mag dich.
Sehr sogar

Lieben tu ich dich nicht. Ich mag dich. Sehr sogar. „Sehr sogar“, das hat der Andere immer gesagt. „Ich mag dich. Sehr sogar.“ „Du bist mir wichtig. Sehr sogar.“  „Es tut mir leid. Sehr sogar.“  Was ist denn ein „sehr“? Mehr als ein bisschen, mehr als mittelmäßig, mehr als normal. Aber weniger als vollkommen, weniger als ganz, weniger als ohne jeden Zweifel. Es ist eben einfach nur ein „sehr“. Sogar, wenn man noch ein „sogar“ dahinter hängt.

In meinem Fall, wenn ich dir das sage, dass ich dich mag, sehr sogar, dann bedeutet es, dass ich dich gerne hier habe. Dass ich dich so sehr mag, dass du meinen ganzen Kühlschrank leer essen darfst, wenn du hier bist. Dass ich das Fenster in der Nacht nur ankippe und nicht wie üblich ganz öffne, um besser schlafen zu können. Aber du, du schläfst nicht gut bei mir. Auch nicht, wenn das Fenster nur angekippt ist. Schlecht sogar. Das weiß ich. Das sagst du. Ein paar Mal hast du gesagt, du hättest gar nicht mal so schlecht geschlafen. Was heißt das, „gar nicht mal so schlecht“? Ich hab keine Ahnung, aber ich denke dann, gar nicht mal so schlecht ist nicht gut. Und ich schlafe auch nicht gut, wenn du bei mir bist. Weil ich Angst habe, dass du nicht gut schläfst und weil das Fenster nur auf Kipp ist und nicht wie üblich ganz offen. Vorsichtig hast du mal gefragt, wie ich es finden würde, wenn du nicht hier schlafen würdest. „Ich würde dich gerne was fragen und du musst ganz ehrlich sein“, hast du gesagt. Und du standst in meiner Küche, hattest deine Jacke noch an und den Rucksack auf dem Rücken. Ich hab gelächelt. Erleichtert. Ich weiß nicht, ob du es gemerkt hast. Ich hab erleichtert gelächelt, weil ich viel Schlimmeres erwartet hatte. Ich hab gesagt, dass das für mich in Ordnung wäre. Und das stimmte. In dem Moment stimmte es, weil ich am nächsten Tag einen wichtigen Termin hatte und weil ich nicht gut schlafe, wenn du bei mir bist. Was du nicht weißt. Du weißt das nicht, weil ich es dir nicht sage.

Und das sehr sogar, das hängt an mir wie ein Nachname. Die, die man mag. Sehr sogar. Die, mit der man lachen kann. Sehr sogar.

Wir hatten vor einiger Zeit dieses Gespräch. Das Gespräch, vor dem ich mich die ganze Zeit gefürchtet habe. Und ich glaube, ich habe das Gespräch angezettelt. Ich wusste, dass es aufkommen würde, also hab ich versucht es anzuzetteln. Die Zügel in der Hand zu halten, einmal wenigstens, dieses eine Mal. Aber, geschickt wie du bist, hattest plötzlich du die Zügel in der Hand. Das kannst du. Wieso funktioniert das so gut? Ich bin sonst nicht unsicher. Ich lasse mich auch nicht schnell verunsichern, aber du kriegst das hin. Du kriegst es hin, dass ich plötzlich nicht mehr weiß, was ich weiß. Oder nicht mehr weiß, was ich zu wissen denke. Du verunsicherst mich. Du willst mich nicht verletzen und ich war mir ganz sicher, dass das auch nicht passieren wird. Ich war mir ganz sicher, bis zu dem Moment, in dem du gesagt hast, „ich will dich nicht verletzen.“ Irgendwie versteh ich dich. Du magst mich. Vielleicht sehr sogar. Aber nicht vollkommen, nicht ganz, nicht ohne jeden Zweifel. Und das sehr sogar, das hängt an mir wie ein Nachname. Die, die man mag. Sehr sogar. Die, mit der man lachen kann. Sehr sogar. Die, die einem ein gutes Gefühl gibt. Sehr sogar. Der Andere hatte genau die gleichen Ängste wie du. Er wollte mich nicht verletzen. Er hat mich verletzt. Sehr sogar. Du willst mich nicht verlieren und das verstehe ich, weil ich dich auch nicht verlieren will. Weil da was stimmt zwischen uns. Und das stimmt immer, wenn wir uns sehen und das lässt nach, wenn wir uns nicht sehen. Ich verstehe dich. In dem Punkt. Ich fühle, dass ich dich mag. Sehr sogar. Und ich hoffe, dass wir das so stehen lassen können. Das „sehr sogar“, jedenfalls für den Moment.

Foto: Milan Popovic via Unsplash

Text: Gastautor

Veröffentlicht am 10. Juni 2018
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